München Die Dialoge gehen an diesem quick schon heißen Mittwochnachmittag in München stets in die gleiche Richtung: „Wie seid ihr finanziert?“ – „Oh, ein Kumpel hat da Kontakte nach Singapur“, kommt es zurück. „Und habt ihr schon eine Web site?“ – „Entsteht gerade.“
Die ansonsten eher zurückhaltenden Berater und Wirtschaftsprüfer von KPMG haben an diesem Tag zum ersten ICO-Competition geladen. Wer auch im Jahr 2018 noch immer nichts mit diesen drei Buchstaben anfangen kann, dem sei an dieser Stelle noch einmal gesagt, dass es sich dabei um Preliminary Coin Choices handelt.
Wurden unter dem Begriff Preliminary Public Choices, Kurzform IPO, bisher im Wesentlichen Aktien an den Markt gebracht, so hat seit intestine zwei Jahren die digitale Variante erheblichen Zulauf. Angeboten werden Token eines Unternehmens oder Projekts auf Blockchain-Foundation. Rund 2000 ICOs gab es seither weltweit, mit rapide steigender Tendenz.
Intestine 200 Vertreter der jungen Branche sind deshalb am Mittwoch in der Münchener KPMG-Zentrale zusammengekommen, dazu Anwälte und Investoren, IT-Spezialisten und Berater. Was eigentlich eine Konferenz ist, heißt hier Competition, männliche Teilnehmer sind deutlich in der Überzahl, mehrheitlich mit Gesichtsbehaarung. Krawatten sind nicht verpönt, aber die Ausnahme.
Und vor dem Konferenzsaal mit der deutlich überforderten Mikrofonanlage ist weit mehr los als im Saal. Die eingangs angesprochenen Dialoge wollen schließlich geführt werden.
Ansonsten dominieren Ideen. Und die Überzeugung, vor etwas ganz Großem zu stehen. Dass es das in der Branche durchaus gibt, zeigt ein Beispiel aus den USA: 1,7 Milliarden US-Greenback hat dort die Telegram Group Inc. gerade erst mit ihrem ICO eingesammelt.
Kritiker der Branche unken bereits, das wäre mehr, als manche Staaten in ihrem Haushalt zur Verfügung haben. Umgekehrt verdeutlicht die gewaltige Summe aber auch, welches Potenzial Kryptowährungen bei ihrer Platzierung am Markt haben. Sowohl für Unternehmen als auch für Investoren. Die hoffen natürlich, dass der Wert der Token steigt. Womit der Vergleich mit einem IPO im herkömmlichen Sinn wieder da ist.
Wobei selbst Experten der ersten Stunde der Branche dem wilden Treiben mittlerweile eine gewisse Unübersichtlichkeit attestieren. Deswegen schauen auch die Kontrollbehörden inzwischen genauer hin. Die Bafin hatte sich vor wenigen Wochen dazu geäußert.
„ICOs sind nicht mehr eine Blackbox“, sieht der Anwalt Wolfgang Weitnauer denn auch erste Erfolge, was die Seriosität anbelangt. Dennoch bleibe viel Luft nach oben, wurde da doch von der Aufsicht lediglich „ein Playground“ festgelegt, attestiert sein Kollege Diethelm Baumann.
Doch trotz der hohen Summen, die für einige wenige ICOs im Raum stehen, hat die breite Masse große Schwierigkeiten, um an reales Geld für den Aufbau des Geschäfts zu kommen. Der Weg geht dabei in erster Linie über Enterprise-Capital-Fonds. Nur 14 Prozent der ICOs haben bisher den Weg über eine Bankfinanzierung probiert, beobachtet Tobias Seidl. Nur drei Prozent hätten eine bekommen. Und überhaupt nur ein Prozent der Kandidaten hätte Zugang zum Kapitalmarkt.
Seidl arbeitete zehn Jahre als Wirtschaftsanwalt, ehe er sich mit der Beratungsgesellschaft Sicos in Luxemburg selbstständig machte. Damit versucht er nun diejenigen, die Kapital haben, mit denen zusammenzubringen, die Kapital suchen.
Dass das tendenziell oft schwierig ist, liegt auf der Hand. Denn auch die Investoren haben oft nur eine limitierte Auswahl bei diesen Angeboten. Hinzu kommen ein begrenzter Zugang und oft auch schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit. Die breite Mehrheit der Investoren in Europa bevorzugt ohnehin Sparkonten. „Und wenn wirklich jemand Interesse hat, dann wird er mit einem hundertseitigen Prospekt zu Tode geschützt“, so Seidls Resümee des Establishment. Wer dann dennoch zugreife, der sei vor allem „educated“.
Das empfiehlt es sich auch zu sein, denn allein der Kaufprozess erfordert eine gewisse Einarbeitung, wie Christoph Niemann erläutert. Der sogenannte Blockchain-Architect macht die erheblichen Unterschiede deutlich zwischen einer Dutch Public sale, bei der die Preise am Ende immer günstiger werden, einem Gnosis Token Sale und einer Vickrey Public sale, bei der Gebote gesammelt werden und am Ende das zweithöchste Gebot den Zuschlag kriegt.
Kein Wunder, dass die Branche selbst im Second noch wie auf der Sinnsuche wirkt. Oder wie es Thorsten Weigl ausdrückt, er ist Vorstandschef von Solom, einer nach eigenen Worten Digital Asset Holding: „Es scheint, dass die meisten Investmentstrategien jetzt Worth-Strategien genannt werden, obwohl sie wenig gemeinsam haben mit traditionellen Worth-Strategien.“