Auf der Terrasse mit Blick über den Atlantik erzählt sich die Geschichte der ersten Meeresbesiedlung beinahe unbeschwert. Obwohl die Gastgeber schließlich fliehen und um ihr Leben segeln mussten. Die Villa an der Nordküste von Panama ist seit einiger Zeit das Refugium des Paares. Nadia, die eigentlich Supranee Thepdet heißt, hat wieder etwas Gutes, Scharfes gekocht. Chad Elwartowski, ihr Mann, ein US-Amerikaner aus Michigan, Mitte 40, mit Strohhut und Shorts, blickt sie nach dem letzten Bissen dankbar an.
Dann erzählt er, wie sie 2018 nach Thailand kamen und in einer Bar in Bangkok Rudy trafen. „Wir sind nur die Sideshow“, sagt Chad, „er ist die Sort.“ „Wenn man mit ihm aus dem Haus geht“, meint Supranee, „gibt es immer ein Abenteuer.“ Der Kontakt struggle im Web entstanden, auf einem Discussion board der „Seasteader“, der Seesiedler-Bewegung. Der Deutsche lud das Paar ein, in Phuket Quartier zu machen. Und erkor die beiden bald zu den ersten Bewohnern seines achteckigen Häuschens, das draußen auf dem Meer schweben sollte.
Rudy, vor mehr als 50 Jahren in Karlsruhe geboren, hört von Amts wegen auf den Namen Rüdiger Koch. Ein Luft- und Raumfahrtingenieur, der in verschiedenen Industrien, auch in der Rüstung, viel gearbeitet und noch mehr verdient hat. Einen Teil legte er in Bitcoin an. Wie auch Chad, der Programmierer ist und als externer Mitarbeiter des US-Militärs in Afghanistan manches beiseitelegen konnte.
Aus heutiger Sicht eine sehr gute Idee: Wenn man zum Beispiel im April 2013 für 100 000 Greenback Bitcoin gekauft hätte, wäre man am vergangenen Sonntag intestine 28 Millionen Greenback schwer gewesen. Wer diese Summe schon im Februar 2011 investiert hätte, stünde heute gar bei 2,8 Milliarden Greenback. Leider weiß man so etwas nie vorher.
Die Konstruktion XLII: ein achteckiges Häuschen aus Glasfaser
Rudys großer Plan ist es, das etwa 300 Meter lange Modell eines „Launch Loop“ zu bauen, einer gigantischen Beschleunigungsschleife, die es in ferner Zukunft möglich machen soll, schwere Lasten ohne Raketen in den Weltraum zu befördern. Das Konzept dieses Raumfahrstuhls stammt von einem Forscher namens Keith Lofstrom. Das echte Ding müsste an die 2000 Kilometer lang sein und irgendwo in Äquatornähe schweben. Chad sagt, er habe „ewig gebraucht, um zu kapieren, was Rudy da vorhat“.
Fakt ist: Schon für das Modell braucht man so viel Platz, wie es ihn nur auf dem Wasser gibt. Dazu einen schwimmenden Kontrollstand. Hier kommt Rudys Konstruktion „XLII“ ins Spiel: ein achteckiges, sechs Meter breites Häuschen aus Glasfaser, das, aufgespießt auf einem mit Beton beschwerten Stahlzylinder, selbst bei hohem Wellengang recht stabil über dem Wasser thront. Dazu die Sehnsucht des thailändisch-amerikanischen Paares, endlich auf dem Ozean zu siedeln.
Gebaut wurde die XLII auf einer kleinen Werft in Phuket. Supranee hat gedolmetscht: badisches Rudy-Englisch zu Thai und umgekehrt. Dann ging es mit Booten hinaus aufs Meer, Haus und Zylinder im Schlepptau. „Das Wasser struggle wild, das Boot krachte auf und nieder“, erzählt Chad. Es galt, den 20 Meter langen, nun senkrecht stehenden Zylinder abzusenken, unter das Häuschen zu manövrieren, und dann durch Auspumpen so weit anzuheben, dass sich seine Spitze in ein Loch in der Mitte des Hauses einfädelt.
In diesem aufgespießten Häuschen lebten Supranee und Chad einige Wochen lang.
(Foto: Denver Hopkins III / Ocean Builder)
„Das Ding wog etliche Tonnen, beim ersten Versuch rauschte es in die Tiefe“, sagt Chad. Er und Rudys Sohn tauchten, um die Ballastkanister mit Luft zu füllen. „Dann schoss das Ding nach oben. Aber neben dem Haus.“
Als es dunkel wurde, die Wellen immer höher schlugen, fuhren sie für die Nacht zur nächsten Insel, 13 Seemeilen entfernt. Es gab Streit mit den Arbeitern. Am nächsten Tag waren sie nur zu fünft. Als die Sonne schon wieder sank, sahen sie plötzlich Licht unter dem Häuschen. „Der Zylinder hob es immer höher“, sagt Supranee.“ „Das struggle der größte Augenblick“, schwärmt Chad, „dieses Riesengefühl: Jetzt passiert es wirklich.“
Leben auf dem Meer? Das kleine „Seasteading Institute“ in San Francisco propagiert seit 2008 die Besiedelung der Ozeane. Sein libertäres Credo: Die Landmasse der Erde ist komplett von inkompetenten Freiheitsfeinden okkupiert. Doch 71 Prozent Erdoberfläche aus Salzwasser sind noch frei. Das Institut hat eine Videoserie über Supranee und Chad, die „ersten Seesiedler“, produziert. Es ist die Heldengeschichte, die das Institut dringend braucht. 2018 struggle sein erstes Großprojekt auf Tahiti nach Protesten gegen die „Tech-Kolonialisten“ gescheitert.
Tausend schwimmende Städte, tausend Regierungsformen
„Wir betrachten das Regieren aus einer Silicon-Valley-Perspektive, wie eine Industriebranche, die dringend der Disruption bedarf“, erklärt Patri Friedman, Gründer des Instituts. Er ist der Enkel von Milton Friedman, einer Ikone der neoliberalen Wirtschaftslehre. Sein Vater David propagierte ein System, in dem Gesetze nicht mehr in Parlamenten, sondern im harten Wettbewerb des freien Marktes geschaffen werden. Ein Geschlecht groß denkender Staatsfeinde. „Das Wichtigste ist“, findet Enkel Friedman, „dass wir tausend schwimmende Städte bekommen, um tausend Regierungsformen auszuprobieren. Die besten zehn werden viel besser sein als unsere heutigen Staaten.“
Hauptfinanzier der Seesiedler struggle anfangs Peter Thiel, Silicon-Valley-Milliardär aus Frankfurt am Major und später Donald Trumps glühendster Verfechter an der Westküste. Für ihn ist die Salzwasser-Lösung nur eine irdische Zwischenstation. Er strebt, wie so viele Hightech-Könige, eigentlich ins All. „Zwischen Our on-line world und Weltraum liegt die Möglichkeit, die Weltmeere zu besiedeln“, schrieb Thiel in seinem Aufsatz „Der Erziehung eines Libertären“ schon 2009. Der zweite wichtige Satz lautete: „Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit und Demokratie miteinander vereinbar sind.“
Anfang 2019 additionally schaukelte ein weißer Punkt vor Phuket im Andamanischen Meer. Supranee und Chad lebten in ihrem aufgespießten Häuschen. Rudy hatte es mit Solarpaneelen, Tanks und einer kleinen Meerwasser-Entsalzungsanlage ausgestattet. Es gab eine Küche, ein Queensize-Bett und eine Aussichtsplattform. Die Pioniere lebten in den Tag hinein, aßen intestine, posteten Fotos und Movies für die zunehmend neidische Gemeinde der Seesiedler. Sie genossen es, die Ersten zu sein. Rudy bastelte daheim weiter an seinem Weltraumfahrstuhl. Hin und wieder holte er die beiden für ein paar Tage aufs Festland.
Plötzlich waren sie auf allen Kanälen – als Feinde Thailands
Das ging einige Wochen intestine, bis Thailands Medien von der neuen Insel erfuhren. Plötzlich waren Supranee und Chad Prime-Information auf allen Kanälen. Männer in Uniform sprachen von einer Gefährdung der Schifffahrt, schlimmer noch: von einer akuten Bedrohung der Sicherheit und Souveränität der Nation. „Wir betrachten solche Aktionen als Beeinträchtigung der thailändischen Unabhängigkeit“, erklärte Konteradmiral Vithanarat Kochaseni. „Als ich diese Nachrichten sah“, sagt Supranee auf der Terrasse in Panama, „dachte ich: Unmöglich. Meine Regierung ist Bullshit.“ Chad beteuert: „Wir haben nie einen Staat proklamiert.“
Chad Elwartowski träumt von einem Leben abseits aller Staaten.
(Foto: Ocean Builders)
Ihr weißes Achteck schwamm 13 Seemeilen vor der Küste. Das Seerecht besagt: Die Souveränität eines Staates erstreckt sich bis zwölf Seemeilen vor seinem Ufer, seine „ausschließliche Wirtschaftszone“ reicht 200 Seemeilen weit. Dann beginnt die hohe See.
Thailands Marine setze sich trotzdem in Bewegung, auch Polizei und Staatsanwaltschaft, der Zoll, die Provinzregierung und numerous thailändische Ministerien waren den Seesiedlern nun auf den Fersen. In den sozialen Medien kochte ein nationaler Furor hoch. Von der Todesstrafe struggle ernsthaft die Rede.
Sie waren gerade an Land, als das geschah. Sie riefen Rudy an. „Schnappt euch euren Notfall-Rucksack“, sagte der, „wir fahren.“ Das Trio traf sich am Boot, packte eilig Trinkwasser und ein paar Snacks ein und legte ab, Richtung Süden, 1200 Kilometer durch die Straße von Malakka Richtung Singapur.
In Panama ging die Sache erst richtig los
Zehn Tage dauerte die Reise, meist unter Segeln, sie hatten kaum Sprit. Singapur, das wussten sie, liefert nicht unbedingt aus. Dort angekommen, schliefen sie erst einmal, duschten, aßen sich satt und hielten Ausschau nach einer sichereren Bleibe. So kamen sie nach Panama. Und da ging die Sache erst richtig los.
Viele libertäre Wasserspiele sind schon gescheitert. 1964 rief Leicester Hemingway, der jüngere Bruder von Ernest, „New Atlantis“ aus – auf einem Floß rund 15 Kilometer vor der Küste Jamaikas. Präsident Hemingway, eher Künstler als Libertärer, gab eine eigene Briefmarke aus und eine Währung, die er Skrupel nannte – weil man davon, so erklärte er, „nie genug haben könne“. 1966 versank New Atlantis in einem Sturm.
Im Sommer 1968 wurde in der Adria vor Rimini die „Republik Roseninsel“ ausgerufen, mit Nachtclub und Restaurant. Italien witterte Steuerbetrug, die italienische Marine sprengte die Plattform. 1971 startete von New York aus die „Operation Atlantis“, angeführt von Werner Stiefel, dessen Eltern von den Nazis aus Deutschland vertrieben worden waren. Stiefel und Gefährten waren begeisterte Leser Ayn Rands, einer bei Libertären höchst populären Prophetin des stolz gelebten Eigennutzes. Das Schiff aus Stahl und Beton kenterte schon beim Ablegen im Hudson River und fing Feuer. Die Reise ging trotzdem weiter, Richtung Bahamas, wo die Atlantis II nach einem Hurrikan kieloben trieb. Vor Haiti, Honduras und Belize setzte sich das Fiasko fort, mit Kanonenbooten und einem weiteren Wrack.
Mithilfe eines gigantischen 3-D-Druckers entstehen die Formen
Und Rudy, Chad und Supranee? Sie bauen nach ihrer Flucht in Panama mit neuen Gefährten „Sea Pods“ – Häuser fürs Wasser, die wie Rudys XLII aufgespießt auf einem mächtigen Zylinder schwimmen. Nur sehen diese vom holländischen Architekten Koen Olthuis entworfenen Pods Lichtjahre eleganter aus, wie überdimensionierte Motorradhelme mit extragroßem Doppelvisier. In der neuen Fabrik der „Ocean Builders“ werden derzeit, mithilfe eines gigantischen 3D-Druckers, Formen hergestellt, aus denen bald die ersten „Sea Pods“ entstehen sollen.
So sollen die Häuschen auf dem Wasser einmal aussehen: Renderings der Sea Pods.
(Foto: Grant Romundt from Ocean Builder)
Verrückter noch: Chad und Rudy haben ein riesiges Kreuzfahrtschiff gekauft, die Pacific Daybreak – Baujahr 1991, 245 Meter lang, mit Platz für mehr als 2000 Passagiere und zirka 700 Mann und Frau Besatzung. Eigentlich sollte das Schiff dieser Tage von Melbourne aus zur „Kiwi Journey“ Tour unterwegs sein. Doch die Corona-Pandemie hat das Kreuzfahrergewerbe trockengelegt. Anfang November mutierte das Schiff zu einem „Crypto Cruiseship“ namens MS Satoshi, eine Verneigung vor Satoshi Nakamoto, dem mysteriösen Erfinder des Bitcoin. Die Auktion der ersten 100 Kabinen für „digitale Nomaden“ struggle eröffnet. Das Seasteading Institute jubilierte.
Rudy holte die MS Satoshi in Piräus ab. Am 4. Dezember 2020 durchquerte das Schiff die Straße von Gibraltar und nahm Kurs auf Panama. Alles struggle vorbereitet, um sie zügig durch den Kanal auf die pazifische Seite zu lotsen und dort, unweit von Panama Metropolis, auf Dauer zu verankern. Im Netz kursierten schon hübsche Entwürfe einer Seestadt rund um die Satoshi, schwimmende Gärten und Büros, verbunden mit Kanälen und Brücken. Chad und Grant konferierten mit Panamas Regierung, die sehr kooperativ zu sein schien. Für potentielle Kabinenkäufer veranstalteten sie Zoom-Konferenzen. Rudy präsentierte Livebilder vom Schiff und auch den Kapitän, einen alten britischen Seebären.
„Wir haben es versucht. Keiner will Freiheit“
Am 17. Dezember erreichte die MS Satoshi die Kleinen Antillen, fuhr gegen Mittag zwischen Domenica und Martinique in die Karibische See ein. Kurz darauf kam eine Nachricht der „Ocean Builders“: „Wir können nicht weitermachen. Die archaischen Versicherungen können sich nicht auf modern Ideen einstellen.“ Für eine vor Panama ankernde Satoshi sei keine Deckung zu bekommen. Weshalb man auch die Flagge, die Betriebsgenehmigung und die Crew verlieren würde. Das Schiff werde in Panama daher nur aufgetankt und auf eine lange letzte Reise geschickt: zurück über den Atlantik, an Afrika vorbei, zum großen Schiffsschrottplatz im indischen Alang.
Es struggle nur der letzte Schlag, sagt Chad am Telefon. Bei der großen Auktion hatten sie gerade einmal drei Kabinen verkauft, 774 standen leer. Auch mit den Behörden lief es nicht glatt.
„Wir haben es versucht. Keiner will Freiheit“, sagt Chad zum Abschied. „Wir sind jetzt Rentner. Und der Bitcoin steht intestine.“
WDR 3 sendet ein Radiofeature des Autors zum selben Thema am 23. Januar.